Windsbraut
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Edition Schrittmacher Band 26
Windsbraut
Geschichten aus Dreiviertelland • Winfried Anslinger
12,4 x 19,2 cm, Broschur
ISBN: 978-3-89801-226-3
Preis: 10,00 EUR
Der Autor:
Winfried Anslinger, geboren 1951 und aufgewachsen in Ludwigshafen am Rhein. Nach dem Abitur studierte er Theologie, Psychologie, Philosophie und VWL in Heidelberg, war Mitglied im Asta und Präsident des Studentenparlaments. Er half, den Heidelberger Wunderhorn-Verlag zu gründen. Seit 1981 lebt er mit seiner Familie als evangelischer Pfarrer in Homburg/Saar, engagiert sich in der Politik und im Naturschutz. Sein erster Erzählband »Wassermusik für Frau Bercelius Geschichten aus Dreiviertelland« erschien 2006. Die vorliegende Sammlung knüpft an diesen Band an.
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Inhalt:
Die Pfalz in den Sechzigern
Ludwigshafen am Rhein. Die Schornsteine des Chemieriesen BASF speien tagtäglich giftig aussehende Nebelschwaden aus »an und für sich« unschädlich für die Anwohner, so wird ihnen versichert. In den Wohnblocks neben der »Anilin« wachsen Kinder auf, die sich in Gartenlauben ihre eigene kleine Welt einrichten. Mit ihren Müttern machen sie Ausflüge in den nahe gelegenen Käfertaler Wald, wo auch noch zwanzig Jahre nach dem Krieg Amerikaner stationiert sind.
Winfried Anslinger richtet den Fokus auf das Leben der kleinen Leute in der westdeutschen Provinz. Im Zentrum seiner Geschichten stehen Kinder, die man zum Bravsein und Duckmäusertum zu erziehen versucht. Hintergründig und phantasievoll blickt er hinter die heil aussehende Fassade einer Gesellschaft im Wandel und erzählt von der Zerbrechlichkeit der demokratischen Werte, von Verrat und Unwissen, von Vorurteilen und von Schuld. Aber auch von den Freuden Heranwachsender, ihren kleinen Fluchten und vor allem von ihren Träumen. |
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Leseprobe
Roland Wesbächer stocherte schläfrig in seinem Obstsalat, als das Gerede um ihn herum verstummte. Er sah die aufgerissenen Augen seines Tischnachbarn, der ihm vorhin die Streichholztricks gezeigt hatte. Die Augen starrten auf einen Punkt, der hinter seinem Rücken lag. Der Mund seines Tischnachbarn öffnete sich, der Atem stockte, das Gesicht wurde angehoben. Alle schienen sich zu erheben. Wortlos. Alles starrte in die gleiche Richtung, zum Fenster hinaus.
Roland fuhr herum. Draußen, hinter den Scheiben, zeichnete sich eine Gestalt vom Himmel ab, die stand oben auf dem Geländer des Umgangs. Auf dem Metallband, an dem er sich selbst vor einer Dreiviertelstunde ängstlich festgeklammert hatte, als er nach unten geblickt und ihm dabei schwindlig geworden war. Zu tief der Abgrund. Eine Frau sah er jetzt, die in der rechten Hand einen aufgespannten Regenschirm hielt, die Linke war nach hinten ausgestreckt. Sicher und ohne Zaudern setzte sie einen Fuß vor den anderen, das helle geblümte Kleid flatterte um ihre Beine.
Die Leute drinnen bewegten sich stumm, fast andächtig, zu den Fenstern hin. Selbst die Bedienung ließ den Servierwagen stehen und beobachtete das Unfassbare auf Zehenspitzen. Roland zwickte sich in den Arm, um sicherzugehen, dass er nicht träumte. Doch dann sah er seine Mutter. Die Eltern waren als Einzige sitzen geblieben und starrten einander an.
»Bis dass der Tod euch scheidet!«, zischte die Mutter mit versteinertem Gesicht. Ihre Augen flackerten. Da wusste Roland, dass er nicht träumte.
....
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