Vorkehrungen
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Edition Schrittmacher Band 1
Vorkehrungen
Hrsg. Thomas Krämer
Neue Texte aus Rheinland-Pfalz
176 Seiten, 12,4 x 19,2 cm, Broschur
ISBN: 978-3-89801-201-0
Preis: 12,90 EUR
Die Autorinnen & Autoren
Ulrich Bergmann, Monika Böss, Christa Estenfeld, Armin Peter Faust, Peer Leonard Galle, Dietmar Gaumann, Sarah Alina Grosz, Heinz G. Hahs, Ernst Heimes, Clara Herborn, Wolfgang Körner, Verena Mahlow, Jörg Matheis, Klaus Dieter Regenbrecht, Inge Reitz-Sbresny, Wendel Schäfer, Walter Schenker, Norbert Scheuer, Petra Urban, Klaus Wiegerling, Irina Wittmer.
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Inhalt
Die Anthologie »Vorkehrungen« versucht nicht einen repräsentativen Querschnitt durch die rheinland-pfälzische Literaturlandschaft zu legen. Sie bietet eine subjektive Auswahl von einundzwanzig Schriftstellerinnen und Schriftstellern, ausschließlich Prosa, eine Auswahl, die mehrere Generationen vereint, alle im Lande lebend, schreibend, und die einem roten Faden folgt.
Thomas Krämer (Herausgeber)
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Leseprobe
Petra Urban
Die Fahrradtour oder
Die bewegte Schriftstellerin
Sonntage können langweilig sein wie stehen gebliebene Uhren.
Vor allem im Sommer. Wenn sich nichts, aber auch gar nichts bewegt. Außer vielleicht die Kirchturmglocken der Basilika. An diesem Sonntag allerdings wird sich etwas bewegen. Ich bin zu einer Fahrradtour eingeladen.
Zum Glück besitze ich ein Fahrrad. Glaube ich jedenfalls. Es müsste irgendwo im Keller hausen. Lichtscheu wie eine Assel, ängstlich wie eine Fledermaus. Obwohl es sich zu ducken scheint, als ich komme, finde ich es trotzdem.
So etwas fährt heute kein Mensch mehr, sagt der Mann im Fahrradladen und schaut mich an, als hätte ich selbst Jahre lang im Keller gelebt. Ich bestehe trotzdem auf neue Reifen. Bloß weil die platt sind wie Pizzateig, erkläre ich mein Rad doch nicht zum Müll. Schließlich verfügt es über zwei erstaunlich gute Eigenschaften. Es trägt mich, was bedeutet, ich muss nicht zu Fuß laufen. Und ich kann es abstellen, wenn auch meine Luft mal ausgeht. Was bei hitzigen Temperaturen ja gern passiert. Mir zumindest. Schriftstellerin. Bewegt mehr im Geist als im Ganzen. Dennoch hoffe ich, am Sonntag kein auffallend schlechtes Bild abzugeben. Schließlich kommt meine sitzende, halbgebückte Stellung am Schreibtisch, dem sportlichen Einsatz doch recht nahe.
Da der Verkäufer mein Rad als wenig lauffreudig bezeichnet, schiele ich an der Kasse nach der Power-Bar. Hier findet der Radler alles zum Durchhalten. Ich kokettiere mit einem Power-Drink, in Anbetracht der sommerlichen Temperaturen, gar mit zweien. Beim Preis meiner montierten Reifen allerdings, beschließe ich, die Power in mir selbst zu haben.
Man empfiehlt mir luftige Bekleidung für die Radtour. Kurze Hose, Träger T-Shirt, Sandalen, vielleicht noch eine Sonnenbrille. Mehr nicht. Auf gar keinen Fall Gepäck. Höchstens eine Decke, für die Verschnaufpause. Im Gras. Ich gehorche. Schließlich glaube ich an das Gute im Menschen, auch an den gutgemeinten Rat.
Dann geht’s los. Runter von der Straße, rauf auf den Radweg. Wo Rhein und Nahe zusammenfließen, der Geist des Weines über den Wassern schwebt und Heerscharen von Radlern unermüdlich strampeln. Beflügelt durch einen Schluck aus meiner Plastikflasche, trample und trete auch ich, surre und schnurre seltsam schwerelos dahin. Das Plätschern des Flusses ganz nah an meinem Ohr.
Obwohl ich Vergleiche grundsätzlich ablehne, stelle ich bereits nach wenigen Metern fest: Ich trete bedeutend leichtfüßiger in die Pedale, als viele der Entgegenkommenden. Auch ist mein Gesicht freundlicher. Muffeln gibt’s bei mir nicht. Frohgemut grüße ich in alle Richtungen. Die Müßiggänger am Wegesrand genauso wie die Eifrigen auf meiner Bahn. Zwischendrin zitiere ich Heines Rheinreise und beim Anblick heftig flatternder Fahnen ein Gedicht von Hölderlin.
Am Ziel unserer kleinen Reise, im Schatten rauschender Baumkronen, bin ich alles andere als angestrengt. Ganz im Gegenteil. Ausgestreckt im Gras, die Arme unterm Kopf verschränkt, fühle ich mich inspiriert und an die Nussbäume aus Goethes Werther erinnert. In meine erlesenen Gedanken hinein erklärt eine Frau recht lautstark, dass sie ihr Fahrrad stehen lässt und mit dem Zug nach Hause fährt. Dabei starrt sie mich an, als erwarte sie wesentliche Worte von mir. Ich spiele mit dem Gedanken, ihr vom Schicksal des unglücklichen Werther zu erzählen. Schweige allerdings beim Anblick ihres feuerroten Gesichtes. Schließlich gibt es Augenblicke im Leben, in denen wir für literarische Schönheit unempfänglich sind.
Lächelnd breche ich den Heimweg an.
Schon nach wenigen Metern verliert sich mein Lächeln in den Fluten des Rheins. Geht unter wie eine bleierne Ente. Es ist zum Haare raufen. Obwohl ich trete und trample, komme ich kaum von der Stelle. Ich kämpfe gegen Windmühlen, bin ein Don Quichotte auf seiner Rosinante.
Im Gegensatz zu mir, treten die Entgegenkommenden erstaunlich leichtfüßig in die Pedalen. Muffeln gibt’s bei ihnen nicht. Ihre Gesichter blicken freundlich drein. Meines nicht. Es hat keine Kraft zu lächeln. Es glüht um sein Leben.
Irgendwo habe ich einmal gelesen, dass der Puls nie über hundertachtzig kommen sollte. Meiner fühlt sich an, als wäre er bei zweihundertachtzig oder dreihundertachtzig?
Hinter mir klingelt es fröhlich. Im nächsten Moment rauschen zwei Männer an mir vorbei. Mit offenem Mund starre ich ihnen hinterher. Der mit dem Helm strampelt und redet wie ein Metronom, unbeirrbar und ohne Ende. Wie schafft der das? Wieso muss der nicht atmen? Ich begreife es nicht. Schweiß tropft von meiner Stirn. Ich stöhne, trete, ringe mühsam nach Luft. Nicht einmal mehr einen Gedanken kann ich bewegen. Jeglicher Fluss in meinem Kopf ist verebbt.
Nur eine Welle der Sympathie ist noch da. Für die Frau von vorhin. Ich verstehe jetzt, warum sie mit dem Zug heimfahren wollte. Ich will es auch. Will zurück an meinen Schreibtisch.
Und dort den nächsten Sonntag erwarten. Unbewegt soll er sein. Genau wie ich.
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