Tiger Lily
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Edition Schrittmacher Band 4
Tiger Lily
Roman von Peer Leonard Galle 12,4 x 19,2 cm, Broschur
ISBN: 978-3-89801-204-1
Preis: 12,40 EUR
Der Auto
Peer Leonard Galle
• geboren 1974 in Mainz
• Abitur 1995 - danach Zivildienst
• Studium der Geschichtswissenschaften und der Germanistik an der TU Darmstadt 1996-2003
• Roman »Funken schlagen« 1999
• Roman »Tiger Lily« 2002
• Studium der Archäologie an der Universität Mainz seit 2005
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Veröffentlichungen
• in verschiedenen Anthologien, z.B. »Vorkehrungen«
Jahrbücher für Literatur 10 (2003) und 11 (2005)
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Leseprobe
... Lily bestand darauf, in den Park zu gehen und sich den infernalischen Sonnenstrahlen auszusetzen. Ich konnte es ihr nicht ausreden, mir fehlte schlichtweg die Kraft. Und so brutzelten wir auf unserer kleinen Decke inmitten eines Meeres von Sonnenanbetern mit etwas kühlem Sangria, was anderen sicher beneidenswert vorkam. Hinter uns drang ab und an Kindergeschrei vom Spielplatz zu uns herüber.
Lily aß mit größter Hingabe ein rosarotes Eis, und ich beobachtete im Liegen einen Hirngeschädigten, der seinem knotigen Bullterrier das Stöckchenholen beizubringen versuchte. Der Köter schien nicht den kleinsten Funken Verstand zu haben, jedes Mal, wenn Herrchen das Stöckchen geworfen hatte, stürzte sich das kleine Monster darauf wie auf ein Kaninchen und zerfetzte es in kleine Splitter. Mäßig amüsiert von diesem Trauerspiel, kam mir mein Roman wieder in den Sinn und damit zwangsläufig die Frage, ob ich nicht zuviel von mir verlangte. Vielleicht sollte ich noch rechtzeitig in eine Karriere als Buchhalter, Busfahrer oder Jurist einsteigen. Vielleicht brauchte ich nur Sicherheit.
»Und was macht dein Roman?«, fragte mich Lily, als hätte sie meine Gedanken gelesen.
Ich ließ meinen Kopf in den Nacken fallen.
»Na ja, was soll damit sein?« Sie setzte sich auf. Ich spürte, dass sie mich hinter ihrer Sonnenbrille fest im Blick hatte. Das Hundchen stob mit seinem Stöckchen davon, sein Freund tadelte ihn wie einen kleinen Jungen und rannte Arm wedelnd hinter ihm her. Ich wandte mich ab.
»Ich versteh dich nicht. Dass du das alles behandelst wie eine bescheuerte Geheimakte. Ist doch was Wunderbares, wenn man schreiben kann«, sagte sie.
»Eben dessen bin ich mir nicht mehr sicher. Weder ob es etwas Wunderbares ist, noch ob ich wirklich schreiben kann. Wenn ich wirklich sage, meine ich das auch so.«
»Und wenn schon, du musst doch offen damit umgehen.«
»Offen umgehen! Das musst du mir sagen!«
Sie machte sich steif.
»Was willst du damit sagen?!«
»Nichts ...«, sagte ich schwach.
»Nichts?! Erklärs mir!«
Ich sah in den stahlblauen Himmel und seufzte.
»Du lässt mich nicht an dich heran, das ist alles, was ich sagen will.«
Sie griff sich mein Kinn und wandte mein Gesicht zu sich hin.
»Es klingt nicht so, als wolltest du nur das sagen!«
»Mein Gott, wenn ich es so sage, meine ich es auch so!«
»Verstehst du, du kennst mich nicht ...«
»Na bitte ...«
»Du kennst mich nicht, du bist der erste, dem ich mich ... vergiss es! Du solltest dich vielleicht mit weniger zufrieden geben, manche Dinge brauchen eben ihre verdammte Zeit.«
Ich machte mich los.
»Ja?! Lily, du hast deinen Vater halb totgeschlagen, meinst du nicht, ich sollte wissen, was ...«
»Musst du das hier so rumbrüllen?! Soll ich dir die Geschichte erzählen, wie er meine Mutter in den Tod getrieben hat? Mit welchen Mitteln er seinen Vaterpflichten nachgekommen ist? Von dem Gefühl, wenn wir nachts wach im Bett lagen und er den Flur entlang kam? Leolo, eins sage ich dir, mein Vater geht dich einen Dreck an, ein für alle Mal!«
Ich lächelte sie unbeholfen an, die Umliegenden hatten uns erfreut zugehört. Ich stand auf und atmete tief durch.
»Ich geh an den Kiosk. Willst du auch was?«, fragte ich.
Von ihr kam keine Antwort.
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