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Die Edition Schrittmacher wird herausgegeben von: Michael Dillinger, Sigfrid Gauch, Arne Houben, Gabriele Korn-Steinmetz.


Schreiborte – wo Literatur entsteht
Edition Schrittmacher Band 31
Schreiborte – wo Literatur entsteht
Anthologie
Nur als e-book erschienen
ISBN: 978-3-89801-825-8
Preis: 4,99 EUR



Herausgeber
Monika Böss, Gabriele Keiser.

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Inhalt
Wo entsteht Literatur?
Diese Frage stellten wir Autorinnen und Autoren, die in besonderer Weise mit Rheinland-Pfalz verbunden sind. Die Antworten sind vielfältig und aufschlussreich: Ob der Schreibtisch in der idyllischen Mühle oder im quirligen Berlin steht – überall entsteht Literatur. Oft sind aufwändige Recherchen einem Text vorausgegangen, doch kann auch ein Gang durch den Herbstmorgen genügen. Manchmal sind es lang zurückliegende Erlebnisse, Begegnungen, Beobachtungen und Gefühle, die in die Texten Eingang finden.
Schräges, Szenisches, Poetisches. Essay und Erzählung. Phantastisches und Reflektierendes. All das findet sich in dieser Anthologie wieder.
Zu bereits bekannten Autoren haben sich neue Namen gesellt. Damit ist das Projekt »Edition Schrittmacher« auch als E-Book seinem experimentellen Anspruch treu geblieben.
Entdeckungen sind erwünscht.


Leseprobe

Brigitta Dewald-Koch: Reisen mit ungewissem Ausgang


»Wo schreiben Sie für gewöhnlich? Wie lange am Tag? Schreiben Sie an einem stillen Ort oder bevorzugen Sie eine anregende Umgebung? Wie finden Sie das Personal Ihrer Handlungen? Haben Sie das, worüber Sie schreiben, persönlich erlebt?«
Diese und ähnliche Fragen werden mir in meinen Lesungen oft gestellt.
Meistens antworte ich: Da meine Schreibzeit äußerst knapp bemessen ist, schreibe ich, wo und wann immer es mir möglich ist: an Abenden, Wochenenden, in Zügen, Hotelzimmern, auf öffentlichen Plätzen im Sommer, in Cafés im Winter; und überall dort treffe ich auch das Personal meiner Handlungen.
Natürlich schreibe ich auch in meinem Arbeitszimmer.
Mein Arbeitszimmer, nicht sehr groß, doch es ist hübsch geschnitten, ein Bücher- und Bilderzimmer mit einem Fenster an seiner Stirnseite, das mir einen weiten Blick erlaubt: in Gärten mit ihren wechselnden Stimmungen des Tages, der Jahreszeiten, über weiße rheinhessische Häuser mit ihren roten Dächern, über die ich die Morgen- oder Abendsonne hinweg wandern sehe, prall, präsent – wie wir sie von Turners Bildern kennen – im Sommer und Herbst, zögerlich, hinter Wolkenbergen versteckt, oder durchscheinend hell im Frühjahr und im Winter, und wo an kalten Wintertagen aus schmalen langen Schornsteinen zittriger weißer Rauch aufsteigt.
Im Frühsommer sitzt an vielen Nachmittagen eine Amsel auf der Dachrinne des Hauses mir gegenüber und pfeift eine Melodie. Manchmal gesellt sich eine Taube dazu und gurrt schaurig, dann steigert die Amsel für gewöhnlich ihren Gesang und kommt mir ein wenig überheblich daher, das monotone Gurren der Taube hingegen klingt mir im Ohr wie eine Mahnung vor genau dieser Überheblichkeit.
Ich sitze gerne in meinem Arbeitszimmer, jedoch bin ich tagsüber schnell vom Schreiben abgelenkt, weil es eben verlockender ist zu beobachten als an Wörtern und Sätzen zu feilen, Gedanken eine logische Richtung zu geben oder die Phantasie zu bemühen. Am liebsten schreibe ich deshalb in meinem Arbeitszimmer, wenn es draußen dunkel und still ist, dann sehe ich Szenen besser, höre die Wirkung der Worte und Sätze, die ich mir überlege, ohne ablenkende Nebengeräusche.