Ein Kreis aus Salz
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Edition Schrittmacher Band 37
Ein Kreis aus Salz
Erzählungen
114 Seiten, 12,4 x 19,2 cm, Broschur
ISBN: 978-3-89801-237-9
Preis: 9,90 EUR
Die Autorin
Sarah Beicht ist freie Autorin, Moderatorin und Veranstalterin aus Mainz. Ihre Geschichten wurden in zahlreichen Magazinen und Anthologien veröffentlicht, viele davon sind mit Preisen und Stipendien ausgezeichnet. Für das Literaturhaus Wiesbaden ist sie als freie Mitarbeiterin tätig, für das sie unter anderem Podcasts und Jugendlesungen moderiert. Daneben bloggt sie auf www.letterwald-mainz.de über die Literaturszene ihrer Heimatstadt und pflegt gemeinsam mit Ingo Bartsch ihre eigene Lesebühne »die Leselampe«, zu der sie das Magazin »Lampenfieber« herausgibt.
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Inhalt
Wir alle kennen den Brauch, Brot und Salz zum Einzug zu schenken oder eine Prise über die linke Schulter zu werfen, um den Teufel damit direkt in die Augen zu treffen. Manche glauben, dass ein Kreis aus Salz wie ein Schutzwall wirkt, der vor bösen Geistern, Dämonen oder Wiedergängern bewahrt.
Die dreizehn Geschichten dieses Erzählbandes handeln von ebensolchen Grenzbegegnungen zwischen den Welten, zwischen Menschen und Geisteszuständen. Wir folgen Figuren im Kegel der Straßenlaternen und Zwielicht der Neonröhren, begegnen ausgestopften Affen und axtaffinen Mörderinnen. Die Geschichten loten die Tiefen menschlicher Beziehungen aus und bewegen sich dabei traumwandlerisch zwischen verschiedenen Genres.
Schlagen Sie das Buch auf, wenn Sie sich trauen – vielleicht brauchen auch Sie gerade einen »Kreis aus Salz«.
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Leseprobe
Wenn ich nachts aufwache und nicht mehr schlafen kann, stehe ich am Fenster und schaue in die Nacht hinaus, dieses dunkle schwere Tuch aus Samt. In immer gleichen Zyklen holt es mich aus meinen Träumen, immer um die Mitternacht und führt mich zum Geländer hin, das sich kalt und hart unter meinen Fingern anfühlt. Ich setze einen Fuß auf die unterste Sprosse, meine Zehen umklammern Metall und Rost, der sich rot auf meine Nägel legt. Schön sehen sie so aus, normalerweise mache ich mir nichts daraus, aber das gefällt mir nun mal ausgesprochen gut, auch wenn es nur für mich ist und für sie, für uns. Es ist schlimmer geworden, viel schlimmer, seit ich sie kenne. Wie ein getriebenes Tier fühle ich mich, sie legte einen Finger auf meine Lippen und ließ es frei und nun muss ich allein damit zurechtkommen. Aber ich bin nie alleine. Niemals. Manchmal ist es tröstlich, manchmal tödlich, nie alleine, wie bei einem Zwilling, einem Parasiten wohl eher. Immer ist es da. So ist es auch heute und ich schnaufe, atme ein und sauge die Luft in meine Lungen, die nach Frühling riecht, immer noch nach Sonne und Tau, und in den Flügeln Knospen schlägt und treibt. Ich atme so stark ein, dass sich der Wind leicht dreht, er kehrt zurück und kann nicht anders, als die Wipfel der Bäume und Äste der Sträucher leise lautlos in meine Richtung zu ziehen. Ein paar Vögel geraten ins Straucheln, sind verwirrt und orientierungslos, taumeln und stolpern durch die Luft, bis mir der Atem stockt und sie wieder zur ihrem Kurs zurückfinden können. Ich halte nichts von so etwas. Doch es ist nicht still um mich herum, ich hör doch was, ein kleines Schlagen, Flattern, Schreien ganz nah dran an meinem Kopf. Ein Falter fliegt noch immer auf mich zu, gezogen an einem unsichtbaren Gummiband, und umkreist mich wie ein Mond mit Kratern auf den Flügeln und goldglänzenden Antennen. Da fängt der Falter langsam an zu tropfen, rinnt über meine Schultern, meinen Rücken und umhüllt mich ganz, legt den Arm um meine Arme und fährt an meiner Hüfte, meinen Waden entlang, bis mich sein pelziger Körper an den Knöcheln kitzelt. Umhüllt mich ganz und gar. Meine Haut scheint silbern, kostbar, unversehrt, doch Rubine legen sich um meinen Hals, die Handgelenke und die Schenkel. Und ich trage ein Gespinsterkleid, federleicht und weiß, und zart und sanft und zerbrechlich schön gehaucht. Ich soll sie wiedersehen, heute Nacht. Es muss sein. Ich kann nicht mehr. Was bringt es, immer nur den Mond anzuheulen, wenn man ihn nicht zu nutzen weiß, diesen Silbertaler ohne Wert, er kommt ja doch nicht näher, nur vom Rufen. Man muss sich schon selbst darum kümmern. Nach Kausalitäten ist nicht zu fragen, denn wie große Poeten doch sagen: Nach der Ebbe kommt die Flut. Nun es ist jedenfalls unausweichlich, dann mache ich es eben selbst, und nehme den Fuß vom Geländer, raffe mein Kleid, es hat kaum Gewicht in meiner Hand, und gehe in die Küche, in der Nacht, wie andere sich ein Glas Wasser holen, so hole ich mir Salz.
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