Wie immer
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Edition Schrittmacher Band 10
Wie immer
Erzählung von Sabine M. Krämer
12,4 x 19,2 cm, Broschur ISBN: 978-3-89801-210-2
Preis: 8,90 EUR
Die Autorin:
Sabine M. Krämer, 1972 in Trier geboren, lebt seit 1992 im Raum Würzburg. Studium der Germanistik, Geschichte und Sonderpädagogik. Jobs als Altenpflegerin, Wäscherreiangestellte, Köchin, Barkeeperin und Putzfrau. 2002-2004 Ausbildung zur Altenpflegerin. 1991 war sie unter den Gewinnern beim Treffen Junger Autoren in Berlin. 1995 erhielt sie den Matha-Saalfeld-Pfalz für die Erzählung »Winter«, 1997 den Förderpreis zum Staatspreis des Landes Rheinland-Pfalz für junge Künstler und das Amsterdam-Stipendium des Künstlerhauses Edenkoben.
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2000/2001 war sie Stipendiatin im Künstlerdorf Schöppingen (NRW). Diverse Veröffentlichungen in Zeitschriften und Anthologien. Im Ventil-Verlag Mainz erschienen 1996 das Lyrik-Drama »Hurensohn« und 1999 die Erzählung »Vor Morgen«.
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Inhalt:
»Sabine M. Krämer [...] schreibt Erzählungen von überraschend beiläufiger Grausamkeit, manchmal spielerisch versponnen, dann wieder bis ins Detail kalkuliert. Verrätselte Sätze, in deren Dickicht man sich verfängt. Bilder und Metaphern, die berühren und dazu anregen, neue, eigene Geschichten zu erfinden.« (Claudia Fuchs in der Mainzer Allgemeinen Zeitung)
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Leseprobe
Als Annabel am Morgen zum letzten Mal aus dem Haus geht, scheint noch die Sonne, später nicht mehr. Einfache Fahrt. Zwo Mark zwanzig. Wo fahren Sie hin? Fragt der Fremde, der Annabel gegenüber sitzt. Heim. Die Straßenbahn fährt über eine Brücke, unter der Brücke fahren Züge hindurch.
Falk nimmt ihre Tasche; seine eigenen Sachen hat er schon in die Wohnung gebracht. Sie gehen die Straße entlang. Eine Leuchtschrift an der Ecke, da muss sie an Italien denken.
Falk nimmt den Schlüssel aus seiner Hosentasche, er schließt die Tür auf, eine schwere Tür. Dahinter Briefkästen aus weiß lackiertem Metall. Viele Namen. Da entdeckt sie ihren eigenen zwischen den anderen, seinen daneben, und erschrickt. Ein fensterloses Treppenhaus. Sie gehen in die Wohnung. Er schließt die Tür hinter sich, hinter ihnen. Dann fällt ihr auf, dass er nicht spricht. Sagt nichts, überhaupt nichts mehr, guckt nur noch.
Der nächste Tag ist ein Sonntag. Kennt sie nicht schon solche Sonntage? Und kennt sie nicht schon diesen Tisch, an dem sie sich am Mittag, am Sonntagmittag gegenübersitzen, vor ihren Tellern, die vollen Teller zwischen ihnen und sie blicken abwechselnd sich und das Sonntagsessen an, können nichts anrühren, können sich nicht bewegen, der Fernseher läuft neben ihnen ohne Ton. So werden sie alle Sonntage dasitzen und mit zugeschnürten Hälsen zusehen, wie alles verdirbt.
*
Ein anderer Sonntag. Alles ist doch ganz normal. Alles wie früher. Der Weg geht zum Berg rauf. Sie halten sich an den Händen, so ein schöner Tag. Da sitzen sie oben nebeneinander auf einer Bank und schauen ins Tal. Sie sieht ihn von der Seite an. Er hat sich Dornen auf die Stirn geklebt als Hörner. Sie versucht ihn zu küssen, er wehrt sie ab und beide lachen als wäre das ein Spiel.
*
Annabel träumt: Sie wacht auf und weiß nicht, wo sie sich befindet. Das Bett, in dem sie liegt, ist weit vom Fußboden entfernt. Ihr Kopf knapp unter der Zimmerdecke, das Kissen, auf dem ihr Kopf liegt, so weich, dass sie darin versinkt und nur das Kissen sieht vor ihren Augen. Die Bettdecke ist zu dick. Es ist viel zu warm. Sie fällt rückwärts in das Kissen, in die Matratze, durch die Matratze hindurch, dreht sich. Es gibt kein Augenaufreißen mehr, zu spät. So fällt sie immer tiefer, immer schneller. Dreht sich, dreht sich rückwärts dem Uhrzeigersinn entgegen, schlägt auf und dreht sich nicht mehr. Da liegt sie erschlagen wie lange schon? Zerschlagen am Boden, alle Fäden gerissen, Arme ab, Beine ab, Kopf ab. Nur das Herz jagt.
Annabel wird wach. Die Augen öffnet sie noch nicht. Sie will nicht wach sein, will schlafen. Sie ist so müde. Sie wird in ihrem ganzen Leben nicht mehr wach werden, sicher nicht. Sie wird hier liegen bleiben, im überhitzten Zimmer, und irgendwann, wenn sie es nicht merkt, wenn sie nicht drauf achtet, bald nach dem nächsten Umherwälzen, Bettdecke um die Füße wickeln, Knie unter der Bettdecke hervorstrecken, vielleicht schon einfach tot sein. Im heißen Zimmer schnell verwesen, sie wird es nicht merken und auch sonst kein Mensch.
Annabel öffnet die Augen. Draußen ist es hell. Das sieht sie selbst durch den dicken Vorhang, sieht es am Rand. Sie hört die Straßenbahnen, die alle zehn Minuten außen am Haus vorbeifahren, hört den Fahrstuhl im Haus. Der Aufzugschacht ist direkt neben ihrem Kopf, durch eine dünne Wand vom Schlafzimmer getrennt. Der Aufzug fährt am Bett, an ihren Ohren vorbei, summt und saust aufwärts und abwärts. Manchmal hält er an. Das Bett ist zu hoch. Oben staut sich die Hitze. Man kann nicht aufrecht sitzen, man stößt mit dem Kopf an die Decke.
Vielleicht steht sie später kurz auf, damit sie aufgestanden ist, und auf dem Weg zum Telefon, mit dem sie dann doch niemanden anruft, schläft sie fast schon wieder ein. Das weiß sie jetzt schon, das war die letzten Tage und Wochen auch schon so. Sie geht nicht zum Briefkasten. Und wenn es klingelt, macht sie die Tür nicht auf. Sie zieht den Vorhang nicht beiseite, sie schaut nicht aus dem Fenster. Sie schließt nochmal die Augen.
Sie hört Schritte im Treppenhaus. Da hört sie auch schon den Schlüssel in der Wohnungstür: Poltern, leises Fluchen die Worte versteht sie nicht. Die Zimmertür geht auf, ein Lichtstrahl fällt rein. Er öffnet die Tür, Licht fällt in das dunkle Zimmer, auf das Bett, auf Annabel. Sie sieht furchtbar aus.
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