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Die Edition Schrittmacher wird herausgegeben von: Michael Dillinger, Sigfrid Gauch, Arne Houben, Gabriele Korn-Steinmetz.


Komplizen
Edition Schrittmacher Band 9
Komplizen
Erzählungen von Dietmar Gaumann
12,4 x 19,2 cm, Broschur
ISBN: 978-3-89801-209-6
Preis: 9,90 EUR


Der Autor:
Dietmar Gaumann, geboren 1969 in Siegen, ist im Westerwald aufgewachsen. Nach der Ausbildung zum Buchhändler studierte er Politik, Filmwissenschaft und Amerikanistik in Mainz, wo er bis heute lebt und arbeitet. »Komplizen« ist sein erster Erzählband. Die darin enthaltene Geschichte »Sprayer« war 2005 für den Georg-K.-Glaser-Preis des Landes Rheinland-Pfalz und des SWR nominiert.




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Inhalt:
Ein Liebespaar, das einen verzweifelten Plan schmiedet, ein eifersüchtiger Polizist, der eine Katastrophe heraufbeschwört, ein einsamer Wachmann, eine Fernsehmoderatorin und ihr größter Fan … »Komplizen« erzählt Geschichten von ganz gewöhnlichen Menschen in ungewöhnlichen Situationen. In einer direkten, lakonischen Sprache berichten die zehn Storys von traurigen und komischen Alltagsdramen, von gebrochenen Figuren, die das Richtige wollen und das Falsche tun. Wie etwa, im ungünstigsten Augenblick eine Waffe zu ziehen ...


Leseprobe

Schusswechsel

Das war die Nacht, in der ein Irrer Ellen in den Kopf schoss. Als Hellmann um elf von der Wache anrief und die Nachricht durchgab, dachte ich, dass es mir egal sein müsste nach alldem, was zwischen ihr und mir in den letzten Wochen passiert war. Minuten später raste ich über den Autobahnzubringer Richtung Krankenhaus und schwor mir, dass Lenz, Ellens neuer Partner, für sein Versagen zahlen würde.
Ich war an diesem Abend nicht an ihrer Seite gewesen, und dafür gab es einen Grund. Ich hatte mich krank gemeldet, Magenschmerzen und Fieber, hatte ich Hellmann erzählt, eine dieser Ausreden eben. Hellmann ließ sich nichts anmerken. »Dann fährt eben ein anderer mit Ellen raus«, sagte er. Genau das war mein Plan. Denn es war Lenz, der den Platz neben Ellen einnahm. Und genau dort wollte ich ihn haben.
Es war November, und gegen sieben, zum Beginn der Nachtschicht, hing der Himmel bereits schwarz über den Häusern. Die beiden wurden gleich zu einer Fahrt rausgeschickt. Es war die Jahreszeit, die die Penner, Selbstmörder und Wahnsinnigen liebten. Wir Polizisten hassten sie, selbst solche wie ich, die nie etwas anderes in ihrem Leben gewollt hatten als Streife fahren.
Ich hatte meinen Volvo in einer Seitenstraße hinter der Wache geparkt. Ich kannte Ellens Gewohnheiten. In den letzten zwei Jahren, in denen wir zusammen auf Streife waren, hatte sie nie eine andere Route in die Stadt genommen. Die Kollegen machten darüber Witze – Ellen war die Einzige, die diesen Weg fuhr –, aber sie ließ sich nicht davon abbringen. Sie zog ihre Sache durch, und niemand konnte ihr reinreden. Das hatte mir an ihr gefallen. Und die rotblonden Haare, die ihr über die Schulterblätter reichten und die sie vor Dienstbeginn zu einem Zopf flocht.
Als der Wagen an mir vorbeiglitt, saß Ellen wie immer am Steuer. Lenz hockte auf dem Beifahrersitz und redete auf sie ein. Ich duckte mich und wartete, bis die Scheinwerfer über meinen Kopf hinweggestrichen waren. Dann folgte ich ihnen.
Lenz war ein Heuchler und Schlappschwanz – nur dass auf der Wache alle außer mir das vergessen hatten. Jetzt galt er als Held. Und das, was ich dachte und vorher auch die anderen über ihn gedacht hatten, war plötzlich falsch. »Brenner«, sagten sie nun, »ich kann’s ja verstehen, aber du siehst die Sache zu verbissen.« Was sie damit meinten: Lenz war zum Helden aufgestiegen und so auch in Ellens Bett gelandet. Und das war vorher mein Platz gewesen.
In Wahrheit war Lenz, der mir gerade bis zum Kinn reichte, ein miserabler Polizist. Das Einzige, das er gut konnte, war, sich immer ins beste Licht zu rücken. Wenn etwas schief lief, und das kam öfter vor, war Lenz nie schuld daran. Fehler machten nur die anderen. Doch wenn er dachte, er käme damit durch, dann hatte er sich getäuscht. Heute Nacht würde ich beweisen, dass Lenz Fehler machte.
Der erste Einsatz führte Ellen und Lenz zu einer bekannten Adresse. Die Sozialwohnungsblocks, klobige, grün gestrichene Betonquader, in der Nähe der Autobahnbrücke. Nummer 57, dritter Stock, rechts. Da waren Ellen und ich eine Zeitlang jede Nacht gewesen. Eheprobleme, Schläge, zerbrochenes Glas. Anzeigen, die Tage später zurückgezogen wurden, wenn die Schwellungen im Gesicht verschwunden waren.
Ellen stellte den Wagen ab und stieg aus. Ich ließ den Volvo in einigem Abstand lautlos in eine Einfahrt rollen. Sie drückte die Klingel, während Lenz neben ihr untätig von einem Bein auf das andere trat.
Kurz darauf sah ich Ellen im dritten Stock ans Fenster treten, über ihrem Kopf das Licht einer nackten Glühbirne. Vor ihr stand der besoffene Familienvater, dessen Hände erregt in der Luft zappelten. Lenz war nicht zu sehen. Die Frau saß sicher wieder auf dem zerschlissenen Sofa und heulte. Seit kurzem hatte das Theater zwischen den beiden eine neue Qualität erreicht. Er hielt ihr im Suff ein Messer vor den Bauch und solche Sachen. Ein hoffnungsloser Fall.
Ellen machte ihre Sache wie immer gut. Sie bewegte sich sparsam, strahlte Ruhe aus. Solche Einsätze, die konnte sie. Ich konnte es nicht. Nicht mehr. Wir hatten auch darüber gestritten. Das Übliche eben – Vorwürfe, Schuldzuweisungen, wie das ist in den letzten, bitteren Tagen, wenn man auseinander geht. Sie hatte mich einen Zyniker genannt, weil ich solche Typen wie Nummer 57 längst aufgegeben hatte. Wenn die Meldung kam, fuhr ich zwar mit raus, blieb aber im Wagen sitzen. Ellen nicht. Ihr war der Enthusiasmus in solchen Fällen noch nicht abhanden gekommen. Sie war sechsundzwanzig. Da konnte man noch an das Gute im Menschen glauben.
Nach zwanzig Minuten kamen sie wieder raus, Lenz nun vorneweg. Hastig drückte ich meine Zigarette aus. Bevor sie einstiegen, tauschten sie einige Worte über das Autodach hinweg. Ich sah, dass Ellen lachte.
...